Das Leichteste der Welt
- MySelf
- Mar 28, 2014
- 14 min read
/// EINORDNUNG ///
Der folgende Text war mein erster Versuch einer Kurzgeschichte.
Er ist im März und April 2014 entstanden, in einer sehr turbulenten Zeit in meinem Leben und ich denke, das merkt man dem Text auch an ;-)
Ich lese ihn heute im März 2021 wieder in dem Moment, als ich mich entschließe, ihn hier auf meiner Seite einzustellen. Puh, es fühlt sich in der Tat etwas an, wie "nackt die Straße runterzugehen".
Es ist seitdem so viel passiert und vieles davon lässt meine Worte von damals in einem anderen Licht erscheinen.
7 Jahre.
Krass. Mein Leben ist ein komplett anderes. Fast alles darin hat sich verändert.
Mein Weg. war ganz schön lang bis hierher. War anstrengend aber es ist ok. Echt ok.
Danke für alles. Bis hierhin
/// Dresden im März 2021 ///

Das Leichteste der Welt
Ich wache auf und im nächsten Moment bin ich hellwach. Dies ist jetzt schon das zweite Mal nach gestern. Wie lange habe ich wohl geschlafen. Ein Blick auf die Uhr sagt, zu kurz. Mein Gefühl sagt, viel zu lange. Ich erfühle mein Bewusstsein. Erst vorsichtig und dann fast ungläubig, als ich immer forscher werde. Und ja, ich spüre es weiterhin. Wenn ich das warme Licht wahrnehme, das im Schlafzimmer herrscht. Wenn ich das gemütliche Bett wahrnehme, mit seinen riesigen Dimensionen, das für mich als kurzzeitigen Junggesellen viel zu groß ist. Es ist leer, ohne meine geliebte Frau. Und ohne meine geliebte Tochter. Sie ist nicht einmal vier Monate alt und schon so sehr in meinem Herzen. Was für eine kleine starke Frau mit einem wilden und liebenswerten Charakter. Wie ihre Mutter. Gott sei Dank, ich habe eine Tochter. Was für ein Glück. Auch weil ihr dann mein viel zu früh ausgehendes Haupthaar erspart bleibt.
Ich bin nur glücklich. Ohne Zweifel, ohne Angst, ohne Stress. Durchbreche ich etwa schon wieder die Regel, dass man besser versuchen sollte, nicht zu schlafen, wenn man sich in einem Bewusstseinsstrom befindet? Diesen Strom, den ich um alles in der Welt nicht verlassen will. Früher hatte ich Zweifel, heute weiß ich es sicher. Alles wird gut. Es gibt keine Grenzen, die mich aufhalten. Es gibt keine Regeln, denen ich folge. Auch meine eigenen Hemmnisse werde ich nach und nach abschütteln. Früher war ich selbst mein größter Kritiker.
Heute muss ich aufpassen, dass ich nicht zu schnell zu weit laufen will und dabei über meine eigenen Beine stolpere. Was hilft mir dabei? Meine eigenen Regeln. Ab jetzt zählen nur noch positive, authentische und direkt zu meiner Seele sprechende Aspekte. Ich werde ein freier Mensch sein. Und dabei werde ich versuchen, so viele Menschen wie möglich, dabei mitzunehmen.
Dazu brauche ich einen Brandbeschleuniger. Zuerst, um mich in zum Brennen zu bringen. Dann, dass ich andere in Brand zu stecke. Ich wusste es immer schon, es ist die Kunst. Mag es Musik sein, Bücher, Filme, Serien oder Kunst im engeren Sinne. Malerei, Konzeptkunst, Design, Architektur oder Kunst im weiteren Sinne. Die Kunst, Menschen zu bekochen, Füße mit Leidenschaft zu massieren oder einfach nur zu lieben. Es ist erlaubt, was Spaß macht und keinen Menschen in seiner Seele oder seiner körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt. Wer dies kapiert hat, der schafft Kunst. Für diese Menschen sind die Grenzen von Arbeit und Freizeit nicht mehr gültig. Als Vollzeitkünstler oder als Freizeitkünstler.
Und natürlich auch als Lebenskünstler. Das ist die höchste Form der Kunst. Ein glückliches, erfülltes Leben zu führen und das Wahre, Schöne, Gute im Leben zu erkennen und es zu leben. Und weiterzuentwickeln. Mittlerweile sind es aber wohl eher die Freizeit-Künstler, die für Furore sorgen. Denn es gibt eben mittlerweile so viele davon, wenn nur noch eines zählt. Arbeitsplätze! Arbeitsplätze! Arbeitsplätze!
Mach dies, lass jenes! Aber beschädige auf keinen Fall unsere heiligen Chancen auf Arbeitsplätze in der größtmöglichen effizienten Wirtschaftsstruktur. Dabei muss man doch nur mit offenen Augen und Herzen durch diese Welt gehen. Effizienz aber hat Scheuklappen auf.
Und schon meldet sich in meinem Kopf die freundlich-krächzende Stimme eines alten Mannes mit einem eigentümlichen, jungenhaften Charme: „Ah, das ist jetzt aber gar nicht so uninteressant, was wir da gelesen haben. Wollen sie es mal versuchen, dies genauer zu erörtern?“
Aus dem geschlossenen Raum da oben erklingt eine zweite Stimme. Dies ist es die deutlich konzentrierter klingende Stimme eines jüngeren Mannes: „Aber gerne, mein geschätzter Kollege. Früher sind die Menschen ihren Interessen und Leidenschaften gefolgt und haben Politik-, Sozial-, Literatur-Wissenschaften oder einfach nur fremde Sprachen und Kulturen studiert. In der heutigen Welt wählen sie die Produktion von Wirtschaft und Juristerei im Untertagebau des Kapitalismus-Dogmas. Und ich habe gehört, dass nicht mal mehr die Ingenieure wirklich frei sind. Selbst die werden jetzt Unternehmensberater.“
Noch nicht ganz befriedigt, wirft der alte Mann ein: „Eine interessante These aber nicht wirklich neu. Was ich hingegen bemerkenswert finde: Ist Ihnen aufgefallen, dass sich die Satzstruktur gerade verändert hat. Unser Autor hat offensichtlich einen Ebenensprung im Kopf gemacht hat. Teilen sie meine Ansicht?“
„Jetzt wo Sie es erwähnen, ja, das ist korrekt.“ Nach einer kurzen Pause spricht der junge Mann weiter, dabei immer schneller und lauter werdend: „Aber wenn wir schon mal auf der Meta-Ebene sind, dann sollte man hier den Autor bitten, dass er schnellstens wieder die Geschichte selber aufnimmt. Und dabei nicht vergisst: Du sollst nicht langweilen! Auch ein Plot wäre auch ganz schön, neben einer halbwegs greifbaren Struktur wie Einleitung, Hauptteil und...“
Energisch wird er vom alten Mann unterbrochen: „Und hier vertrete ich eine abweichende Meinung. Es gibt keine festen Regeln, nach denen sich Menschen, ob nun mit oder ohne Erfahrung im Schreiben und auch im Lesen, eine Meinung darüber bilden, ob ein Text gut oder schlecht ist. Es muss nur direkt zu Ihrer Seele sprechen. Er muss sie berühren, dann stehen die klassischen Kriterien zurück, nach denen sie ansonsten Texte bewerten.“
Ehrlich erfreut über den lebhaft diskutierenden alten Mann antwortet der junge Mann: „Chapeau! Dann haben wir jetzt auch den Bogen geschlagen zu einem beliebten Zitat von Autodidakten: ‚Echtheit ist unschätzbar wertvoll. Originalität gibt es nicht.’“. Nun wieder entspannt, schließt der alte Mann: „Jetzt haben Sie es kapiert! Sehr gut! Es gibt keinen Löffel. Also runter von der Meta-Ebene und wieder rein in den Text.“
Jetzt sitze ich aufrecht auf der Bettkante und notiere diesen Einfall peinlich genau für seine spätere Verwendung. Dieser Sender ist wirklich wundervoll inspirierend!
Es ist ein wunderschöner Morgen, ich bin hellwach und fühle mich wunderbar. Und das gerade mal mit drei Stunden Schlaf. Also stehe ich auf und merke, dass meine beste Freundin schon aus ihrem Schlafzimmer für die heutige Nacht, unserem Kinderzimmer, ins Bad gegangen ist. Eigentlich ist sie unsere beste Freundin. Also von uns, meiner Frau und mir. Das macht sie aber automatisch auch zu meiner besten Freundin. Na, wie wird sie sich erst heute fühlen, wenn sie ihre Termine in unserer Stadt durchziehen muss. Ich glaube positiv. Positiv entspannt, was kann man sich mehr wünschen.
Denn das ist sie eigentlich schon von Natur aus. Sie steckt voller Überraschungen. Immer wieder. Eigentlich arbeitet sie in einem klassischen Wirtschaftskreislauf-Beschleuniger-Beratungshaus. Aber plötzlich erzählt sie, dass diese Firma sie im großen Kampf aller starken Frauen sogar proaktiv unterstützen will. Der Entscheidung zwischen Familie und Karriere. Einem Kampf, dem sie sich als Team-Leiterin und frischgebackene Ehefrau bald stellen muss.
Sie ist nun fertig mit Duschen im Bad und hat das Fenster geöffnet, um den Wasserdampf abziehen zu lassen, als ich mich sagen höre: „Jep, ich hab’s. Der Plot geht um die Suche nach sich selbst, und die Klärung der Frage, ob ich es schaffe, ein freier Mensch zu werden. Denn das ist es, was ich will.“
Während sie sich die Lidschatten aufträgt, merkt sie an: „Ah, stimmt, das hattest Du gestern Nacht schon erwähnt. Naja, wohl eher heute Nacht,“ schiebt sie leicht müde belustigt hinterher.
Schon wieder lichterloh brennend sage ich: „Jau, ich bin glücklich. Ich mag mein Leben, denn es ist ein gutes Leben. Aber irgendwas hat man ja immer. Es ist die ständige Transformation. Dieses bewusste Leben.“
Sie ist fertig mit schminken im Bad, sitzt nun im Kinderzimmer auf der Bettkante des Schlafsofas und zieht sich die Socken an. Dabei beugt sie sich in ihrer Freizeit-Bluse (Casual Friday!) weit nach vorne. Ich bekomme einen exklusiven Blick auf ihre großen, wunderschönen Brüste. Macht sie mit Absicht eine halbe Ewigkeit an ihren Socken rum?
Auf dem Weg in die Küche laufe ich im Wohnzimmer an unserer Couch vorbei. Gestern Nacht lag meine Freundin auf dieser Couch, welche genau dafür gemacht wurde. Darauf zu liegen. Nicht zu sitzen, dafür ist sie viel zu tief. Beim Gedanken an die schöne letzte Nacht sage ich mir: Mission erfüllt!
Zurück im Kinderzimmer esse ich meinen Frühstücks-Joghurt und führe weiter aus: „Ja, das ist es, das ist das große Thema. Es geht nicht um profane Ziele. Es geht nicht darum, dass ich einfach nur höher, schneller, weiter will. Es geht nicht darum, dass ich die Anzahl der Frauen, mit denen ich Sex hatte, ins Unendliche steigere.“
Jetzt ist es passiert. Jetzt ist das Wort das erste Mal gefallen. Nein, nicht „Sex“. Das Wort lautet „unendlich“. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt, und schon sind wir beim Universum angelangt. Verdammtes Universum. Der Terror des Unendlichen. Dieser verdammte Produktivitäts-Killer. Ich starte sofort in meinem Kopf das Abwehr-Protokoll. Es hilft mir auch dieses Mal wieder zügig, mich zu erden, bevor ich mich im Universum verliere.
Jetzt wo ich auf der Rückbank im Auto meiner Mitfahrgelegenheit sitze und diese Zeilen schreibe, da frage ich mich dann schon mal:
„Darf ich das? Diese Ebenensprünge. Da muss es doch Regeln dagegen geben?“
Und in der Tat, hier ist er, der „Disclaimer“. Die „Gegenaussage“. Ich liebe den „Disclaimer“. Gibt’s auch immer wieder in Kunst und Musik.
Einerseits: Ungezügelter Hedonismus. Andererseits: So pünktlich wie es geht, meine Steuer abschicken. Ich nutze ihn auch andauernd. Gerade in Powerpoint-Präsentationen. Das Tool Powerpoint ist für die drei Menschen, in dem Auto, in welchem ich gerade auf dem Weg zu meiner Frau bin, eher nicht so relevant. Hmm, sollte ich sie mal fragen, ob sie das tatsächlich so sehen? Oder sollte ich nun einfach mit dieser Vermutung weitermachen?
„Assumption ist the mother of all fuck-ups.“. Dies sagte der kleine, langhaarige Intellektuelle mit Trotzki-Brille im Argentinischen Urwald, nachdem er von den zwei bekifften, jungen Spanierinnen gefragt wurde: „And you, are you also from Germany?“ „No, almost. Israel.“
Verstanden. Also lieber mal kurz in die Runde gefragt: „Kennt ihr euch gut mit Powerpoint aus?“ Zwei aus drei nutzen es. Aber nur rudimentär. Die Dritte, die gerade auf der Autobahn-Toilette ist, soll sich laut Aussage ihres Freundes, der im Auto geblieben ist, aber ganz gut auskennen. Damit kann man annehmen, dass sie es nicht nutzen, um damit Kunst zu produzieren. Geht aber.
Gut gemacht. Du hast was in Erfahrung gebracht aber es vermieden, die armen Studenten vor den Kopf zu stoßen, indem du ihnen noch wildere Fragen komplett aus dem Zusammenhang gerissen stellst. Nach drei Stunden Fahrt auf einigen Irrwegen, beginne ich ein Muster zu erkennen in dieser wilden Mischung aus Erziehungswissenschaften, klinischer Psychologie und Verfahrenstechnik. Was für ein putziges Chaos. Nett aber ineffizient. Eine willkommene Abwechslung, wenn man seinen Alltag mit Effizienz-Monstern verbringt. Und dabei selbst das größte ist.
Verdammt, schon wieder die Ebene gewechselt. Ich muss dringend an meinem Abwehr-Protokoll arbeiten.
Also, streiche ich mir über meinen 8 Tage Bart und vergewissere mich, dass das leicht rötliche Bart-Haar auch nicht zu ratschig ist. Das wird nämlich die erste große Frage: „Darf ich den Bart behalten, den ich mir nun seit 8 Tagen habe wachsen lassen?“ Meine Frau weiß noch nix davon. Auf jeden Fall bin ich sehr zufrieden mit meinem Bart. Und in meinem Job wurde er auch positiv bemerkt. Das erste Mal, dass ich beim Thema „Haare“ mal was anderes als lustig-nervige Kommentare zu meinem wenigen, dünnen Haar gehört habe. Ahh, Haare, da war doch was…
Ach! Was war ich gestern Abend erleichtert, als ich ihren Roll-Koffer auf dem Gehweg unserer 80er Jahre Wohnanlage hörte. Bei ihr war man sich immer erst sicher, dass sie uns besuchen würde, wenn sie die Türschwelle überschritten hatte. Nun hörte ich um halb neun Uhr abends einen Rollkoffer im Innenhof, als ich noch gerade den Bad-Fliesenboden schnell mit dem Lappen sauber wischte. Wenn nicht jetzt, wann dann!
„Boah, du siehst aber entspannt aus.“ sagt sie, als sie unsere Wohnung in Business-Kleidung betritt. „Und der Bart, der steht Dir.“
„Ja, das habe ich diese Woche schon mehrmals gehört“. Und wann habe ich schon mal Komplimente für mein Aussehen bekommen. War mir einfach nicht wichtig genug. Der ewige Stenz, ein Horror aus den Jagdgründen der nimmersatten Raubtiere.
Während sie sich aus der ersten Schicht Business-Kasper-Kostüm schält, bin ich wieder Mal beeindruckt von ihrem Haar. So schwarz wie Ebenholz. Ergänzt wird ihr langes Prachthaar von ihrem natürlichen Charme, verpackt in einen weiblichen Körper und gesegnet mit einem gewissen Rock ’n‘ Roll Sex Appeal, der auch in ihrem Job immer wieder durchschimmern muss. Sagt sie auch immer: „Ich sehe vielleicht aus, wie die klassische Beraterin. Aber meine Klienten merken immer schnell, ich bin keine normal-effizient-durchschaubare Beraterin. Sag ich ihnen auch ganz offen. Und es hat bisher immer wundervoll funktioniert.“
Herrlich! Sie ist da. Wir umarmen uns herzlich und ich vermittele ihr mit wenigen Worten, dass heute nicht wie immer wird. Heute wird anstrengend. Für wen nur, das ist hier die Frage.
„OK, Kiddo, was willst du trinken? Gin Tonic mit Gurke, wie üblich?“ So frage ich es als guter Gastgeber.
„Nein“, antwortet sie mit einer Mischung aus Stolz und Bedauern in der Stimme. „Ich trinke zurzeit keinen Alkohol. Fastenzeit. Rauchen tue ich auch nicht. Und dass ich auch kein Schweinefleisch esse, dass hatte ich ja schon in der SMS geschrieben.“
Naja, auch fein. Kriegen wir hin. Wie alles heute. Irgendwie war ich heute früh einfach hellwach. Fast von alleine würde ich sagen, denn mein Wecker war definitiv später gestellt. Das war wohl mein schlechtes Gewissen, dass die Wohnung auch nach einigem Aufräumen am Vorabend immer noch aussah wie ein Schlachtfeld. Naja, drei Tage wach. Das fordert seinen Tribut. Ich musste noch mal ran und zwar jetzt. Vor sieben Uhr Morgens.
Beim anschließenden Zähneputzen betrachte ich im Spiegel mein trauriges Resthaar. Früher mit Zweifeln, heute mit Freude. Genauer gesagt, mit Vorfreude. Denn in nur einem Monat, wenn meine kleine Familie die Reise durch ein paar der schönsten Ecken des Mittelmeerraumes antritt, dann wird es passieren. Das Resthaar wird fallen. Endgültig, unwiederbringlich, vollkommen. Glatze. Rasiert. Muss sein. Will ich, muss ich, brauch ich. Bin ich. Jetzt oder immer schon, das ist die Frage.
Boah, was ist die cool, meine Freundin. Wir sitzen bei einem Glas Leitungswasser am Esstisch und unterhalten uns darüber, wie es uns gerade geht. Genauer gesagt, wie es mir seit exakt einer Woche geht, als ich mit der bewussten Suche nach mir selbst begonnen hatte. Frau und Kind raus, Suchprogramm gestartet. Jetzt ist auch noch meine Freundin da und ich kann die gewonnenen Erkenntnisse dialektisch mit dem idealen Sparringspartner erörtern. Wir stellen fest, dass wir beide Rot-Gelbe Typen sind. Vorreiter. Das passt in meinem Fall auch wunderbar zu meinem Sternzeichen Waage im Aszendenten Zwilling. Sehr luftig sonnig. Schön hier oben, sage ich mir. Und eigentlich gebe ich nix auf Astro-Quatsch. Man will ja weiter ernst genommen werden, oder? Naja, Deng Xiaoping hielt die Uhrzeit seiner Geburt jedenfalls geheim. Ich muss das nicht. Ich will das nicht. Im Gegenteil, ich will es offen ausleben. Ich genieße noch ein Glas Whisky zum Wasser, als meine Frau anruft.
Jetzt wird’s richtig lustig. Wir quatschen zu Dritt über die Freisprech-Anlage und hoppeln blödelnd von Thema zu Thema. Schließlich machen wir bei unserer neuesten Errungenschaft halt. Unserer geliebten Tochter und der Tatsache, dass sich auch in unserer Ehe, in der x-ten Generation, wieder einmal die weibliche Seite durchgesetzt hat. Auf allen Zweigen des Generationenbaums sitzen nur Mädchen und Frauen. Wunderschön!
„Ihr wisst aber schon, dass es der Mann ist, der bei der Zeugung das Geschlecht bestimmt?“ richtet unsere beste Freundin die Frage an uns. Wir spinnen den Gedanken weiter: „Also entweder wählen alle Frauen in der Familie meiner Frau die gleiche Sorte Männer aus.“ Diese These verwerfen wir aber als nicht zutreffend, nach einer kurzen Diskussion der so individuell-unterschiedlichen männlichen Gegenstücke. „Oder alle Frauen der Familie zeichnen sich durch ein gemeinsames Merkmal aus.“ Diese These macht schon deutlich mehr Sinn, als wir in allen Frauen der Familie eine besondere Stärke erkennen. Mal leichter, mal schwerer zu erkennen. Aber immer existent.
Wir verabschieden uns und meine Freundin und ich genießen unser vegetarisches Essen. Mein Zweites, diesen Tag. Cool, freu mich, dass ich es mal wieder geschafft habe, einen Tag fleischlos zu leben. Ich liebe Fleisch, wenn dann aber bewusst vorgefreut und gegessen.
Zeit, dass mich meine strengen, inneren Rezensenten, genauer gesagt, zuerst der junge Mann mal wieder erden: „Und erfüllt die Kurz-Geschichte nun ihre Anforderungen?“
Der alte Mann klingt leicht enttäuscht als er sagt: Mein junger Freund, sie stellen die falsche Frage. Es muss heißen: spricht das Geschriebene Sie in ihrer Seele an? Und ja, das tut es, in meinem Fall. Es ist in der letzten Zeit halt nur a bissl wilder geworden, wenn sie so wollen.“
„Und wenn ich nicht will.“ In einem bestimmten Tonfall führt der junge Mann weiter aus: „Man muss es leider sagen. Ein paar coole Verlinkungen und Sub-Plots hat der Autor einfach sträflich links liegen lassen. Denken sie an die Beobachtung, dass der Ziegen-Kinnbart des jungen Mitfahrgelegenheits-Fahrers in seiner traurigen Form nicht nur Anlass zur Belustigung gibt, sondern sich auch wunderschön in das Thema „haarig“ einfügt. Lauter Steilvorlagen, die wir jetzt zügig verwandeln müssen, bevor sie verloren gehen.“
„Aber sehen sie nicht, dass er es versucht. Und noch besser, er hat uns wieder aus eigenem Antrieb aktiviert und bittet uns nun, unseren süffisant-ironischen Blick auf diese jungen Nerds auf den Vordersitzen einzubringen. Und dann schafft der Autor es sogar, eine Konversation aufzunehmen, in deren Verlauf der Fahrer unseren Autor noch verbessert. „Ohne ‚h’, der ‚Bertold.’“ Cooler Kommentar, der sich damit unserem Autor eröffnet, im ganz realen Leben. „Es geht nicht immer nur Ernie, manchmal muss man auch Bert.“
Es geht los. Sie sitzt mir gegenüber und wir amüsieren uns darüber, wie wir in unserem Gespräch gemeinsam freudig wild von Punkt zu Punkt springen. Wir genießen es, endlich mal im 1:1 Gespräch mit einem Gleichgesinnten unser gemeinsames Chaos im Kopf zu zelebrieren. Dieses tropische, aufgeheizte, quirlige und von Unterwasserströmen durchzogene Bermuda-Dreieck aus Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen und unbedingtem Freiheitsdrang. Die Strudel ziehen scheinbar arglose Aussagen immer wieder unter Wasser. Tief nach unten, bis sie, verborgen für die meisten unserer Mitmenschen im Bewusstseinsstrom an einen anderen Punkt in unserem privaten Universum getragen werden. Dort steigen sie dann nicht langsam, sondern radikal wieder an die Oberfläche.
Dort führen sie im Besten Fall als eine Art des Dadaismus zur Belustigung oder manchmal auch nur zur Verwirrung. Nur selten provoziert diese eher liberale, durchscheinende Geisteshaltung auch mal Abwehr. Deutet gerne auch mal auf die Präindikation einer angstvollen Ichauflösung hin. Dabei ist doch alles ganz logisch, man muss nur um ein paar Ecken denken.
Wer ist hier verrückt, fragt Anton Chigurh. Ich nicht. Ich bin der Normale in einer Welt des Wahnsinns. Was Wahnsinn ist, das liegt aber immer im Auge des Betrachters. Und was sagt eigentlich der Hinduismus dazu:
„Manchmal nackt Manchmal verrückt Mal als Weiser Mal als Narr So erscheinen sie auf Erden: Die freien Menschen.“
Mir wird klar, dass ich den gleichen Monolog auch wunderbar mit meiner Frau führen könnte. Sie würde mich gleichermaßen verstehen, ohne unbedingt alles im Detail nachvollziehen zu wollen. Nur denkt sie eben eher mit dem Kopf, als mit dem Herzen und erlaubt sich noch nicht, sich mehr von ihrer Intuition leiten zu lassen. Ach, wie schön wäre wieder mehr Intuition. Das denke ich mir so, als Kultur-Optimist.
„Dann gib mir doch deine Kurzfassung. Was willst du?“ fragt meine Freundin mich, während sie es sich mit den Kissen auf der Couch bequem macht. Mein innerer Steuermann hilft mir, mit klarer Konzentration zu sagen: „Ich will meinen Traum verwirklichen. Ich will Schriftsteller werden und meine Familie damit versorgen können. Ich will die Welten in meinem Kopf mit anderen Menschen teilen und sie für meine Liebe zum Leben und den Menschen begeistern. Ich will kreativ sein. Frei sein. Ich will mich suchen und finden und suchen und finden und ständig transformieren. Es gibt keinen Löffel. Nicht mehr für mich: einen freien Menschen.“
Das alles ist aber nur Mittel zum Zweck, so denke ich für mich. Ich habe Spaß an der Idee von einer besseren Welt. Zu esoterisch? Nein, nur gesunder Menschenverstand. Ich will versuchen, den Menschen die Augen zu öffnen für die Möglichkeiten, die sie und wir alle gemeinsam als Bewohner dieses seltsamen Planeten haben. Liebe funktioniert. Das Wort ist mächtig!
Laßt uns den Mut zu finden, wahrhaft frei zu leben. Uns mit offenem Geist zu begegnen und auch die Unterschiede zu akzeptieren. Und diese dann zu feiern. Ihr Mächtigen dieser Welt: „Nervt nicht!“ Denn es gibt sie: eine nicht-existente Organisation von intuitiv freien Menschen, die ein gemeinsames Band der Liebe zur Erde und den Menschen darauf verbindet.
Disclaimer: Es gibt nur eine Nummer eins für mich. Meine Frau. Meine Seelenverwandte. Ihr Vertrauen in mich ist das höchste Gut.
„Aber wer hat eigentlich in Stein gemeißelt, dass ein Mensch einen anderen zu 100% besitzen darf,“ sage ich zu meiner Freundin. Nach stundenlanger Diskussion ist es mittlerweile tiefe Nacht. „Wer sagt, dass man nicht mehr als einen Seelenverwandten haben darf? So von Vorreiter zu Vorreiter. Liebe ist unendlich, auch zwischen Menschen, die sich nicht nur rein mechanisch die Füße massieren, sondern damit etwas transportieren wollen. Liebe. Körperliche Nähe. Bewunderung für einen schönen Körper. Das Verlangen, den geliebten Menschen mit allen Sinnen zu lieben.“
„Ja, ich verstehe Dich“, antwortet sie mit viel Mitgefühl. „Aber glaubst du selber daran, dass diese Art von Freiheit heute oder jemals universell wird? So lange die Freiheit des einen, das Glück des anderen verletzt, so lange kann es nicht das universelle Glück maximieren.“
„Ja, Du hast Recht“ sage ich mit reinem Herzen. „Wir alle sind noch lange nicht so weit. Es bedarf zuerst eines anderen, höheren, breiteren und für mich auch besseren Verständnisses der Liebe. Wir werden sehen. Ich werde meinen Teil dafür leisten und den Wert ‚Vertrauen’ immer an erster Stelle vorantragen.“
Mit einem leichten, müden Seufzen in der Stimme sagt sie nun: „Konntest du dir eigentlich keine leichteren Themen für heute suchen?“ „Nun ja, das musste ich mal durchdenken. Ich war auf der Suche nach mir und der Abend mit dir heute war ein bedeutendes Puzzlestück.“
Auch wenn ich mich mittlerweile auch äußerlich verändert habe, so weiß ich. Ich war schon länger so drauf. Ab jetzt aber, leben ohne Filter. Die Glatze mit Bart wird dann nur den äußerlichen, vorläufigen Abschluss markieren. Ein entspannter, positiver Typ. Endlich, nachdem ich in meiner Jugend so lange das genaue Gegenteil davon war.
Den Weg bis jetzt zu finden, war dann sogar irgendwie das Leichteste der Welt. Denkt man wohl immer im Rückblick...
Los jetzt, weiter! Wir haben noch viel vor.
Alles ist gesagt. Fast schon im Morgengrauen bedanke ich mich bei meiner Freundin für ihre Coolness und das vertrauensvolle Gespräch. Wir umarmen uns, länger als üblich, enger als üblich, uns näher als zuvor. Ich wache am nächsten Morgen auf und im nächsten Moment bin ich hellwach.
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